Wednesday, October 7, 2009

Dresden Neustadt


Es wird dämmrich und ich besteige am Hauptbahnhof die S-Bahn nach Dresden-Neustadt. Wolln doch mal sehn was dran ist an der Schlagzeile im Touristenprospekt: "Größtes Kneipenviertel Deutschlands".

Allerdings beschäftigt mich zunächst die Ansage der nächsten Haltestelle: "Dresden so-und-so, Übergang zum World Trade Center". Ich fühle mich weltoffen.
"Dresden-Neustadt!", ertönt es dann einige Augenblicke später, und ich bin raus. Noch ein Blick auf die Karte, dann marschiere ich bei einsetzendem Nieselregen und einbrechender Dunkelheit los. Zwei Mädchen, schwarz gekleidet, fragen mich, wo hier ein Lidl ist, und ich kenne das Codewort nicht. Also weiter und rechts rein in die Alaunstraße, und ich merke, hier bin ich richtig. Der Regen, vorbeiflitzende Radfahrer und Leuchtreklamen einiger Bars erfreuen mein Gemüt und ich fühle mich wie ein Bladerunner.

Erstmal was futtern, und ich lese "Devil's Kitchen". Später, als ich die bestellten HotDogs mit einer von 10 verschiedenen Chilisoßen würze, begreife ich endlich, warum dieses Lokal so heist. Und ich kann endlich wieder frei atmen.

Wieder zurück in der Alaunstraße. Vorbei an einem Biergarten erwische ich zufällig den Eingang zur Kunsthofpassage und lasse mich trotz Regen vor einem spanischen Restaurant nieder - El Perro Borracho. Ich befinde mich in einem Art Hinterhof. Über mir höre ich Klaviermusik und lese "Ballettschule". Lampionlampen tauchen den Hof in warmes Licht, hier bin ich energiesparlampenfrei. Ich bestelle Budweiser, und spreche das ausversehen amerikanisch aus. Irgendwie doch zu viel Blade Runner geschaut. Der Wirt erklärt mir auch gleich, dass das amerikanische Budweiser überhaupt nicht schmeckt und auch nichts mit dem tschechischem Budweiser zu tun hat. Es regnet mittlerweile richtig schön. Und außer ein paar Rauchern, die aus dem vollbesetzten Gastraum mal kurz im Freien sitzen, bleibe ich allein hier draußen.

Ein Bier später zieht es mich weiter fort, an einen anderen Ort. Ich schlendere immer noch durch den Kunsthof und sehe Licht in einer Kellerbar. Im schönsten Waschhaus Dresdens treffe ich dort auf Rainer und Moni. Rainer ist der Inhaber dieser Bar und füllt mir auch gleich ein Bier ab. Moni, wie sich später herausstellt, hat ein paar Häuserecken weiter eine Pension.

Da ich der einzige Gast zu dieser Stunde bin - es regnet immer noch - sitzen wir drei bald gemütlich zusammen und plaudern über DDR-Musik und die Pudhys. Nebenbei bemerke ich, das alle Möbel in dieser Bar aus Bambus sind. Rainer führt mich dann eine Etage höher in den Verkaufsraum des ersten und einzigsten Fachgeschäftes mit eigener Produktion für Bambusmöbel. Und Rainer läßt es sich nicht nehmen, meine Unwissenheit bei Bambus und Kokusnüssen zur Schau zu stellen.

Irgendwann verabschiede ich mich und bin nun in der Parallelstraße zur Alaunstraße. Plötzlich stehe ich vor der Reisekneipe. Die Erlebniskneipe des Reiseveranstalters "Schulz Aktiv Reisen", bei dem ich für November eine Chilereise gebucht habe. So ein Zufall. Und es gibt "Gambrinus", ein Bier, welches auch in meiner Stammkneipe daheim ausgeschenkt wird.

Weiter in die Nacht, und ich höre Jazzmusik. Verdammt, habe ich hier etwa eine Jam-Session verpasst? Und tatsächlich, in der "Scheune" erlebe ich die letzen Minuten einer Jazzband. Da hätte ich mich mal informieren sollen.

Ein schöner Abend geht zu Ende und ich verlasse das Neustadt-Viertel. Ich laufe zurück Richtung Elbe. Schon eine überquerte Hauptstraße später erstirbt das Nachtleben. Fahle Neubauten und breite Flaniermeilen mit Läden im Erdgeschoss ersetzen die gemütlichen Gassen in Neustadt. Ich fühle mich als ob ich mein Wohnzimmer verloren hätte.

Auf Wiedersehen Dresden-Neustadt

Links zu diesem Post:

http://www.devils-kitchen.eu/
http://www.kunsthof-dresden.de/
http://bambushaus-dresden.de/
http://www.reisekneipe.de/
http://www.scheune.org

Foto: Patrick Hesse, Dresden